Mammutbaum

Wer ein bisschen durch die Wege der Kleingartenkolonie „Am Schildstein“ wandert, wird einen Baum nicht übersehen, den über 15 m hohen Mammutbaum (Sequaoidadendron giganteum), der hier seit fast siebzig Jahren steht. Beinahe wäre er im Jahre 2002 den Regeln der kleingärtnerischen Nutzung zum Opfer gefallen. Doch nun steht er geschützt in einer eigens für ihn umgestalteten Parzelle. Trotz seines Stammumfanges von gut drei Metern ist der Mammutbaum noch jung an Jahren. Wenn er dem sturmsicheren Gehölz keine Säge zu nahe kommt, kann er es bis auf stolze drei- bis viertausend Jahre bringen. Wie aber kommt der Mammutbaum hierher? Aufzeichnungen gibt es darüber leider nicht. Aber die Gartenfreunde, die von Anfang an dabei sind, erzählen überwiegend übereinstimmende Geschichten. Nach dem vergeblichen Versuch der Saline, die Solequelle im Bereich Schildstein 1909 für sich nutzbar zu machen, lag das Land brach. Es wurde zu Ackerland. Den Bereich des Brach- / Ödlandes am heutigen Schildsteinweg umzäunte der Engländer gegen Ende des 2. Weltkrieges mit Stacheldraht. Das ganze Gelände um heute dort stehenden Mammutbaum wurde als Kriegsgefangenenlager für Deutsche, als Sammellager für Deportierte eingerichtet. Die Unterbringung erfolgte nur teilweise in Zelten auf diesem Gelände. Viele Kriegsgefangene buddelten sich mit bloßen Händen eine Ausnehmung in den Boden und fanden darin Unterschlupf. Der Engländer war mit Jeeps dort. Bis zum Ende des 2. Weltkrieges Mai 1945 bis Ende Juni 1945 bewachten sie das Lager. Einigen Gefangenen gelang dennoch die Flucht. Gartenfreund Heinrich Gramulla, seit 01. April 1956 Mitglied und Pächter des Kleingärtnervereins „Am Schildstein“ erinnert sich: „Meine Mutter hat damals drei Flüchtlingen mit Zivilkleidung geholfen. Nach deren Flucht haben sie sich tatsächlich später von zu Hause gemeldet. Beispielsweise Herr Eger aus Eger (Stadt im äußersten Westen der tschechischen Republik) und Herr Versebeckmann aus Münster – Westfalen. Ich wollte damals Landwirt werden. Als Dankeschön bot Herr Versebeckmann mir an, dass ich in Altenberge bei Münster eine Ausbildung zum Landwirt beginnen kann, was ich auch am 1. Oktober 1945 tat. Dort besuchte ich unter anderem die Landwirtschaftsschule in der britischen Besatzungszone. Mein Ziel, mit Bewerbung als staatlich geprüfter Landwirt abzuschließen, hat der damalige Leiter abgelehnt, weil zunächst bevorzugt Spätheimkehrer und Hoferben genommen wurden.“

Im Zusammenhang mit der Geschichte dieses Kriegsgefangenenlagers Am Schildstein kann man im Internet auch nachlesen, dass Heinrich Himmler im März 1945 versuchte, nach seiner Absetzung als Oberbefehlshaber der Heeresgruppen Verbindung mit den Westalliierten aufzunehmen, um über einen Separatfrieden zu verhandeln. Am 28. April 1945 erfuhr Hitler von diesem Vorhaben und dass Himmler sich als Hitlers Nachfolger vorgeschlagen hatte. Er entlässt ihn daraufhin aus allen Ämtern und verfügt einen Haftbefehl gegen ihn.

Himmler schlug sich im Mai bis zur neuen deutschen Regierung unter Großadmiral Karl Dönitz durch, von der seine Mitarbeit jedoch abgewiesen wurde. Unter falschem Namen Heinrich Hitzinger und in einer einfachen Soldatenuniform versuchte Himmler, sich in einem Flüchtlingsstrom der Gefangennahme zu entziehen. Bei Lüneburg geriet er in britische Gefangenschaft, blieb aber unerkannt. Nach seiner Entdeckung beging Himmler am 23. Mai 1945 in einem britischen Gefangenenlager bei Lüneburg durch eine versteckte Zyankalikapsel Selbstmord (http://www.lexikon-der-wehrmacht.de/Personenregister).

Ein Kanadier soll die Saat des Mammutbaumes während des 2. Weltkrieges mitgebracht und eingepflanzt haben. Diese Saat muss dem Alter des Baumes entsprechend ca. 1943 / 1944 gepflanzt worden sein. Nach Kriegsende wurde das Ackerland dann zu Gartenparzellen des Kleingärtnervereins „Am Schildstein“. Die Gärten wurden eingerichtet, um die Hungersnot durch Ernte aus dem eigenen Garten zu lindern. Logisch, das es unter diesem Aspekt seinerzeit keine freien Gärten gab. Die Häuser im heutigen Schildsteinweg wurden erst 1951 und 1952 erbaut. Hier hatte das Haus Schildsteinweg Nr. 53, der so genannte „Kaffeesachse“ bewohnt. Das eigene Grundstück war für den Anbau von Obst und Gemüse zu klein. Deshalb hatte er den angrenzenden Garten zu seinem Grundstück des Hauses dazugenutzt – den Garten, der heute der Garten Nr. 7 ist und den Mammutbaum beherbergt.

Aus dem Haus Nr. 53 zog er aus behielt den Garten Nr. 7 aber weiter. Der Mammutbaum wurde größer und größer. 1988 wollte der Pächter des Gartens daher von der Pacht befreit werden, weil er den Garten nicht entsprechend nutzen konnte. Er überlegte auch, den Baum zu fällen. Das wurde ihm aber nicht gestattet. Da die Bewirtschaftungsfläche einhergehend immer kleiner wurde, löste der Gartenfreund des Gartens Nr. 7 den Pachtvertrag. Der Grünflächen- und Forstausschuss des Rates der Hansestadt Lüneburg, der regelmäßig jedes Jahr die Lüneburger Kleingartenkolonien im Rahmen des Kleingartenwettbewerbes besichtigt, stellte im Jahre 2001 fest, dass der hier stehende „Baum“ ziemlich groß sei. Es sollte geprüft werden, ob das nicht mit dem Bundeskleingartengesetz vereinbar oder der Baum zu fällen ist.

Schnell wurde jedoch klar, dass es sich nur um einen sequoiadendron giganteum – also um einen Mammutbaum handeln kann, wie er sonst nur in 1500 bis 2500 Metern Höhe in der Sierra Nevada in Nordamerika vorkommt. Er wurde deshalb unter Naturschutz gestellt. Der Garten Nr. 7 wurde der Stadt gegenüber damit pachtfrei. Er erhielt einen Zaun durch die Stadt Lüneburg, den Gartenfreund Friedhelm Petersen vom Kleingärtnerverein Am Schildstein errichtete. Die anfänglich erforderliche Gartenbauarchitektur wurde durch die Stadt Lüneburg und auf Antrag des Vereins durch die NDR – Lotterie „Bingo“ unterstützt und gefördert. Gartenfreund Günther Thiede erhielt eine Sitzgarnitur, ein Kräuter- und ein Wildblumenbeet und richtete den Garten um den Mammutbaum erstmalig für Besucher ein. Zwischenzeitlich stellt der Mammutbaum schon so etwas wie das Wahrzeichen der Kolonie dar.

(Text und Recherche Bernd Hermann)